"SILENT SONGS - REHEARSALS FOR A CHANGING WORLD #1 & #2" mit CHRISTIANE HUBER

Zur Eröffnung des Vortrags brachte Christiane Huber ein sirrendes, fein heulendes Instrument über ihrem Kopf schwingend zum Tönen. Ein Ton der Resonanzen erzeugte, physisch und assoziativ. Die gleichbleibende Ruhe dieser Klang-Performance verlängerte die Zeit und erlaubte es mir kurz auf Gedankenreise zu gehen. Dann ebbte der Ton ab, die Performerin rollte die Schnur ein, brachte das Instrument auf seinen Platz und suchte ihrerseits einen Platz in der Mitte des Publikums.

Ein Vortrag – nicht zum Sehen, sondern zum Hören – mehr noch zum Genau-Hin-Hören. Die Welt der üblichen Erwartung an einen Vortrag war schon verwandelt, hatte sich schon auf den Kopf gestellt: Die Vortragende begann nicht mit einem Zitat oder einem launigen Anfang, sondern sie tönte. Und sie stellte sich nicht vor uns hin, damit wir sie gut sehen und hören konnten, sondern sie mischte sich unter uns und sprach unverstärkt.

In mir breitete sich Entspannung, Leichtigkeit und Freude aus. Eine innere Haltung, mit der ich den ersten Ausführungen von Christiane Huber folgte und die vorgeschlagenen Experimente des Zuhörens ausführte. Während ich das tat, drehten sich meine Gedanken immer wieder um die Verbindung von Intervention und Zuhören. Widersprach sich das nicht?

Christiane Huber stellte verschiedene (Kunst-)Projekte vor, die meinem Denken auf die Sprünge halfen. Beispielsweise wurde im März 22 das Glockengeläut des Stephansdom in Wien gehackt und irritierte in der Nacht während 20 Minuten die Hörgewohnheiten von Anwohner:innen.

Oder Christiane sprach von Musikerin Pauline Oliveros, die ihren Schwerpunkt von der Soundproduktion auf die Praxis des Zuhörens verlegt hat.

(About Us – The Center For Deep Listening)

Und sie lud uns ein, uns gegenseitig zuzuhören, um dem Unterschied von Hören und Zu-Hören auf die Spur zu kommen.

Zuhören ist Arbeit, ermöglicht Dinge und gibt Stimmen Raum, schafft eine Atmosphäre des Vertrauens. (…) Und das ist etwas anderes als ‚Leuten eine Stimme‘ geben, denn hier ist wieder ein Macht-Ungleichgewicht gespiegelt: manche Stimmen resonieren mehr als andere, sind lauter als andere, sind gebildeter als andere.

Aus dem Manuskript Silent Songs. Rehearsals for a Changing World von Christiane Huber

Nach einer Reise zu verschiedenen weiteren Beispielen der Performance-Art, die zum genauen Hin-hören, Nach-fühlen und Mit-gehen einluden, endete Christiane Huber ihren Impuls mit einer zweiten Höraufgabe, die ich hier wiedergeben möchte:

Ein Listening-Konzert – die Musik spielte in uns selbst:

1.) Schließe die Augen, wenn du magst. Dann konzentriere dich auf einen Ton aus deiner nahen Umgebung. Höre zu, (folge dem Sound).

2.) Ändere nun deinen Fokus und suche ein Geräusch, einen Ton aus der weiteren Umgebung, das kann draußen sein, direkt vorm Haus oder auch weiter weg. Höre zu.

3.) Lausche nun auf den Sound in dem Glas. (Er kommt von drei sich auflösenden Aspirintabletten in Wasser. Dies aber bitte nicht näher benennen - wenn der Sound unbenannt bleibt, kommen beim Hören mehr Bilder.) Kannst du diesen Ton verfolgen?

Vom Input #1 habe ich mitgenommen: Es geht um die Praxis des Zuhörens. Und: Zuhören kann eine politische Dimension entwickeln.

Auch der Input #2 startete mit einer Einladung zum Zu-hören. Christiane Huber stimmte ein Zäuerli an. Das Zäuerli ist „eine Art meditativer Jodelgesang“ (SRF) – ein appenzellerischer Naturjodel, bei dem zwei Solostimmen über einer chorisch getragenen Akkordfolge improvisieren.

Das Zu-hören war Vorspiel und Praxis auf dem Weg zum Kongress-Zäuerli mit dem wir gemeinsam diesen #2 Input eröffneten, der uns zu stimmlich getragenen Interventionen im öffentlichen Raum führte. Christiane schloss damit an Beispiele an, die sie am Vortag vorgestellt hatte, beispielsweise ein Reenactment einer Performance von Tadeusz Kantor The Letter durch Weronika Zalewska. Diese trug 2020 gemeinsam mit weiteren Künstler*innen in Warschau einen riesengroßen Brief zum Parlament. Damit machten sie in der Zeit der Präsidentschaftswahlen in Polen darauf aufmerksam, dass die Briefwahl zwar versprochen war, dass jedoch unklar war, wie sie vollzogen werden sollten.

Christiane lud uns ein, ebenfalls für unsere Anliegen auf die Straße zu gehen. Dabei knüpfte sie an eine Zuhör-Übung vom Vortag an, bei der wir über eigene gesellschaftliche Anliegen gesprochen hatten.

Um in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit eine rasche Gelegenheit zum Agieren zu haben, bot uns Christiane vier mögliche Formate an, die mit Praxen des Hörens und Gehör-Verschaffens verbunden waren.

  • Das Format Speakers Corner mit Sprechtüte in dem sich Performer*innen an einem gut einsehbaren öffentlichen Ort mit einer Rede Gehör für ihr Anliegen verschaffen.

  • Das Format Umzug bei dem sich eine größere Gruppe von Personen vermittels Sprechchöre Aufmerksamkeit verschaffen.

  • Das Format Manifest bei dem ein selbst geschriebenes oder Auszüge aus dem von Christiane mitgebrachten Januar-Manifest der Gruppe Spur performt werden.

  • Das Format Parkbank bei dem eine Person auf einer Parkbank – oder auch auf der Bank eines öffentlichen Verkehrsmittels zum Sprechen und Zuhören einlädt und so mit Passant*innen in ein Gespräch über das Anliegen kommt.

Christiane gab uns eine Struktur für die Arbeit mit der Interventionsaufgabe auf den Weg:

  • Sich inhaltlich und formal entscheiden: Worüber will ich wie sprechen?

  • Sich in der Öffentlichkeit umzuschauen, nach einem geeigneten Ort suchen.

  • Sich zu fragen, wie die Intervention an diesem Ort ausschauen kann. Wie wird Öffentlichkeit gestört? Und dies gleich ausprobieren, im Sinne einer öffentlichen Probe.

  • Ggf. den Versuch revidieren und neu formatieren.

Ich entschied mich für die Arbeit mit dem Januar-Manifest und fand mich alsbald nach kurzen Absprachen zu inhaltlichen und formalen auf der Straße und auf der Suche nach einem geeigneten Platz für unsere Intervention. Wir waren ca. 20 Menschen. Den ersten Platz, zu dem wir uns intuitiv bewegten, haben wir für eine Performance verworfen. Der Ort schien umgeben von Wohngebäuden und viele von uns vermuteten, dass hier am Samstag-Morgen noch Menschen schlafen würden, die vielleicht nicht mit einem Manifest geweckt werden mochten. So wanderten wir gemeinsam zu einem aus unserer Sicht passenderen Platz für unsere Manifest-Präsentation. Wir begaben uns auf eine Brücke in unmittelbarer Nähe des Bendlerblocks, einem Ort, an dem Soldatinnen vereidigt werden und Politikerinnen mit dem letzten Zapfenstreich verabschiedet. Unsere hier performte Version des Manifests litt allerdings etwas unter dem Verkehrslärm und dem Grundrauschen der Großstadt. Dennoch war die unmittelbare gemeinsame öffentliche Aktion – auch mit den wenigen Absprachen, die wir auf Grund der kurzen Zeit treffen konnten – eine eindrückliche Aktion. Auf den Wegen zwischen den Performance-Orten haben sich spannende Gespräche mit bisher unbekannten Menschen ergeben. Die rasche Selbstorganisation des Kollektivs war spannend zu verfolgen. Und letztlich hat der kleine Sprung über den inneren Widerstand ein Gefühl von Kraft und Leichtigkeit hervorgerufen. Wir haben es gewagt, wir haben es hinbekommen!

Wie Christiane Huber im Anschluss an unsere Aktion auch sagte: wir hätten für alle Schritte der Aktion locker einen ganzen Tag Zeit in Anspruch nehmen können. Diesen Tag hatten wir jedoch nicht. Dass wir den Sprung dennoch gewagt und die unterschiedlich leisen und lauten Performances beherzt in den öffentlichen Raum getragen haben, vermittelte eine dichte Erfahrung davon, wohin der Weg mit Rehearsals for a changing world führen könnte: Zu zarten, lauten, poetischen und plakativen Kundgebungen für das, was uns am Herzen liegt.

Den Zugang über Performance-Praktiken des Hörens, Zuhörens und Gehör-Verschaffens scheint mir für die Arbeit mit Schülerinnen ein ausgesprochen spannender und gewinnbringender zu sein. Nicht jede Schülerinnen-Gruppe wird die in den Rehearsals von Christiane Huber vorgeschlagene Offenheit in gleicherweise bewältigen wollen oder können. Methodische Adaptionen dürften auf der reichen Grundlage der zwei Inputs jedoch leicht zu erfinden sein. Bedeutend für den Theaterunterricht erscheint mir der Aspekt des Zu-Hörens (jemand hat später noch ergänzt: des Hin-Hörens) sowie das Wirksam-Werdens durch Intensität und Durchkreuzen von Konventionen und Erwartungshaltungen.

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Liebe Ursula, vielen Dank für diesen präzise reflektierten Bericht. Er hat in mir die Erinnerung an das selbst Erlebte zurückgerufen, das im Lärm des Alltags schon beinahe verloren gegangen war. Und ich hab gleich Ideen, wie ich mit meinen Schüler*innen weiter arbeite.

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